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Urteil Versicherungsgericht (SG)

Zusammenfassung des Urteils IV 2013/594: Versicherungsgericht

Die Cour de Cassation pénale hat am 14. Oktober 2010 in einem Fall entschieden, bei dem G.________ gegen ein Urteil des Strafvollzugsrichters vom 21. September 2010 in Bezug auf eine Geldstrafe von 850 CHF rekurrierte. Der Richter hatte die Geldstrafe in neun Tage Freiheitsstrafe umgewandelt und zusätzlich 150 CHF Gerichtskosten auferlegt. G.________ argumentierte, dass er nicht der Fahrer des Fahrzeugs war, das den Verkehrsverstoss begangen hatte. Die Cour de Cassation entschied jedoch, dass die Geldstrafe in Freiheitsstrafe umgewandelt werden sollte, da G.________ zahlungsunfähig war. Der Richter bestätigte das Urteil und ordnete an, dass G.________ die Gerichtskosten von 540 CHF tragen muss.

Urteilsdetails des Kantongerichts IV 2013/594

Kanton:SG
Fallnummer:IV 2013/594
Instanz:Versicherungsgericht
Abteilung:IV - Invalidenversicherung
Versicherungsgericht Entscheid IV 2013/594 vom 10.12.2015 (SG)
Datum:10.12.2015
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:Entscheid Art. 28 IVG. Rentenanspruch. Würdigung Gutachten. Befristeter Anspruch auf eine halbe Rente (Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 10. Dezember 2015, IV 2013/594). Bestätigt durch Urteil des Bundesgerichts 8C_68/2016.
Schlagwörter : ähig; IV-act; Arbeitsunfähigkeit; Rente; Behandlung; Gutachten; Recht; Beurteilung; Gesundheit; Arbeitsfähigkeit; Gesundheitszustand; Anspruch; Verfügung; Gericht; Parteien; IV-Stelle; Invalidität; Invaliditätsgrad; Stellung; Arbeitsunfähigkeiten; Sachverhalt; Therapie; Tätigkeiten; Parteientschädigung
Rechtsnorm:Art. 7 ATSG ;
Referenz BGE:125 V 261; 125 V 352;
Kommentar:
-

Entscheid des Kantongerichts IV 2013/594

Entscheid Versicherungsgericht, 10.12.2015

Entscheid vom 10. Dezember 2015

Besetzung

Präsidentin Lisbeth Mattle Frei, Versicherungsrichter Ralph Jöhl, Versicherungsrichterin Marie-Theres Rüegg Haltinner; Gerichts-schreiber Philipp

Geertsen Geschäftsnr. IV 2013/594

Parteien

A. ,

Beschwerdeführerin,

vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. Markus Roos, Postgasse 5, Postfach, 9620 Lichtensteig,

gegen

IV-Stelle des Kantons St. Gallen, Postfach 368, 9016 St. Gallen,

Beschwerdegegnerin,

Gegenstand Rente Sachverhalt A.

    1. A. meldete sich am 15. Dezember 2010 wegen eines psychischen Leidens zum Bezug von IV-Leistungen an (IV-act. 1). Dr. med. B. , Allgemeinmedizin - Manuelle Medizin, berichtete am 28. Januar 2011, die Versicherte leide seit Jahren an einer depressiven Störung ohne psychotische Symptome. Er bescheinigte eine 50%ige Arbeitsunfähigkeit. Der Gesundheitszustand sei besserungsfähig (IV-act. 23). Vom

      17. November bis 23. Dezember 2010 befand sich die Versicherte zur stationären Behandlung in der Klinik C. . Die dort behandelnden psychiatrischen Fachpersonen diagnostizierten eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome im Sinn einer double-depression (ICD-10: F33.2). Aufgrund einer akuten depressiven Dekompensation sei die Versicherte freiwillig zur stationären Aufnahme gekommen. Unter medikamentöser Therapie sei es zu einer ersten Stabilisierung gekommen, sodass die Versicherte zur ambulanten Weiterbehandlung habe entlassen werden können (Austrittsbericht vom 26. Februar 2011, IV-act. 28). RAD-Ärztin Dr. med. D. , Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, empfahl ausgehend von einer 50%igen Arbeitsfähigkeit den Beginn mit einem Arbeitstraining und Hilfe bei der Stellensuche. Die Fortführung einer ambulanten psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung sei dringend anzuraten (Stellungnahme vom 3. März 2011, IV-act. 29).

    2. Die IV-Stelle erteilte am 18. Juli 2011 Kostengutsprache für eine berufliche Abklärung vom 1. Oktober bis 31. Dezember 2011 in der F. AG, (IV-act. 43; zur

      Taggeldverfügung vom 29. Juli 2011, IV-act. 47), für welche die Versicherte bereits im Rahmen eines vom Sozialamt initiierten Integrationsprogramms tätig gewesen war (vgl. hierzu IV-act. 40-2). Am 27. Januar 2012 schlossen die Versicherte, die IV-Stelle und die F. AG für die Dauer vom 1. Januar 2012 bis 31. März 2012 eine Vereinbarung für die Einarbeitungszeit mit Einarbeitungszuschuss (Beschäftigungsgrad 50%, IV-act. 53). In der Mitteilung vom 11. Juni 2012 wies die IV-Stelle das Leistungsgesuch um weitere berufliche Massnahmen ab. Sie brachte vor, die Versicherte arbeite im Pensum von 50% und sei somit angemessen eingegliedert. Der Arbeitsplatz sei gesichert (IV-

      act. 63).

    3. Im Verlaufsbericht vom 4. Juli 2012 gab Dr. B. an, der Gesundheitszustand der Versicherten habe sich verbessert. Die Dauermedikation habe eine gute Wirkung. Die Prognose sei gut und die psychotherapeutische Behandlung sei sistiert worden. Er bescheinigte eine 50%ige Arbeitsfähigkeit (IV-act. 64). Im Auftrag der IV-Stelle wurde die Versicherte am 7. März 2013 von Dr. med. G. , Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie FMH, begutachtet. Der Gutachter diagnostizierte mit Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig leichte bis zeitweilig mittelgradige depressive Episode mit beginnender Chronifizierung (ICD-10: F33.8). Für die ursprünglich erlernte Tätigkeit als Zeichnerin und die ausgeübte Tätigkeit als Produktionsmitarbeiterin sowie für leidensangepasste Tätigkeiten bescheinigte er mit überwiegender Wahrscheinlichkeit seit April 2012, sicher aber ab März 2013 eine 30%ige Arbeitsunfähigkeit. Von November bis Ende Dezember 2010 habe eine 100%ige und von Januar 2011 bis Ende März 2012 habe eine 50%ige Arbeitsunfähigkeit bestanden (Gutachten vom 12. April 2013, IV-act. 76). RAD-Ärztin Dr. D. vertrat den Standpunkt, auf das psychiatrische Gutachten könne abgestellt werden (undatierte Stellungnahme, IV-act. 77).

    4. Ausgehend von einer seit 17. November 2010 bestehenden 30%igen Arbeitsunfähigkeit ermittelte die IV-Stelle einen 30%igen Invaliditätsgrad und stellte der Versicherten mit Vorbescheid vom 22. Juli 2013 die Abweisung des Rentengesuchs in Aussicht (IV-act. 82). Dagegen erhob die Versicherte am 15. Oktober 2013 Einwand (IVact. 89). Am 29. Oktober 2013 verfügte die IV-Stelle die Abweisung des Rentengesuchs (IV-act. 91).

B.

    1. Gegen die Verfügung vom 29. Oktober 2013 richtet sich die vorliegende Beschwerde vom 28. November 2013. Die Beschwerdeführerin beantragt darin unter Kostenund Entschädigungsfolge deren Aufhebung. Es sei ihr nach der Durchführung des Beweisverfahrens eine ganze Rente, mindestens aber eine halbe Rente zuzusprechen. Zur Begründung führt sie aus, das psychiatrische Gutachten sei nicht beweiskräftig. Sie sei seit dem 19. März 2013 in regelmässiger psychiatrischer Behandlung bei med. pract. H. , Psychiatrie-Zentrum I. . Diese bescheinige eine Arbeitsunfähigkeit von mindestens 50%. Des Weiteren rügt sie eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, da sie keine Stellungnahme zum Gutachten von Dr. G. habe abgeben können. Schliesslich bemängelt die Beschwerdeführerin den von der Beschwerdegegnerin vorgenommenen Einkommensvergleich (act. G 1).

    2. Die Beschwerdegegnerin beantragt in der Beschwerdeantwort vom 10. Februar 2014 die Abweisung der Beschwerde. Sie bringt vor, das rechtliche Gehör der Beschwerdeführerin sei nicht verletzt worden. Das Gutachten von Dr. G. sei beweiskräftig. Sodann liege kein invalidisierender Gesundheitsschaden vor (act. G 4).

    3. Mit Präsidialentscheid vom 11. Februar 2014 wird dem Gesuch der Beschwerdeführerin um Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege (Befreiung von den Gerichtskosten und Bewilligung der unentgeltlichen Rechtsverbeiständung) entsprochen (act. G 5).

    4. In der Replik vom 6. Juni 2014 hält die Beschwerdeführerin unverändert an der Beschwerde fest (act. G 16) und legt einen Bericht von Dr. B. vom 6. März 2013 ins Recht (act. G 16.1).

    5. Die Beschwerdegegnerin hat auf eine Duplik verzichtet (act. G 18).

Erwägungen

1.

In formeller Hinsicht rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, die sie darin erblickt, dass sie keine Stellungnahme zum psychiatrischen Gutachten habe abgeben können. Wäre sie zu einer Stellungnahme eingeladen

worden, dann hätte sie dartun können, dass es ihr gesundheitlich schlecht gehe und dass sie deswegen das Psychiatrie-Zentrum I. habe aufsuchen müssen, um sich helfen zu lassen (act. G 1, Rz 21). Die Gehörsrüge erweist sich als unbegründet, da die Beschwerdegegnerin der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 13. August 2013 die Akten zustellte (IV-act. 85) und diese im Einwand vom 15. Oktober 2013 Stellung zum psychiatrischen Gutachten nehmen konnte (IV-act. 89-3).

2.

Zwischen den Parteien materiell umstritten und nachfolgend zu prüfen ist der Rentenanspruch der Beschwerdeführerin.

    1. Anspruch auf eine Rente haben gemäss Art. 28 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung (IVG; SR 831.20) Versicherte, die: a. ihre Erwerbsfähigkeit die Fähigkeit, sich im Aufgabenbereich zu betätigen, nicht durch zumutbare Eingliederungsmassnahmen wieder herstellen, erhalten verbessern können; b. während eines Jahres ohne wesentlichen Unterbruch durchschnittlich mindestens 40% arbeitsunfähig gewesen sind; und c. nach Ablauf dieses Jahres zu mindestens 40% invalid sind. Als Invalidität gilt laut Art. 8 Abs. 1 des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG; SR 830.1) die voraussichtlich bleibende längere Zeit dauernde ganze teilweise Erwerbsunfähigkeit. Erwerbsunfähigkeit ist der durch Beeinträchtigung der

      körperlichen, geistigen psychischen Gesundheit verursachte und nach zumutbarer Behandlung und Eingliederung verbleibende ganze teilweise Verlust der Erwerbsmöglichkeiten auf dem in Betracht kommenden ausgeglichenen Arbeitsmarkt (Art. 7 Abs. 1 ATSG). Für die Beurteilung des Vorliegens einer Erwerbsunfähigkeit sind ausschliesslich die Folgen der gesundheitlichen Beeinträchtigung zu berücksichtigen. Eine Erwerbsunfähigkeit liegt zudem nur vor, wenn sie aus objektiver Sicht nicht überwindbar ist (Art. 7 Abs. 2 ATSG).

    2. Nach Art. 28 Abs. 2 IVG besteht der Anspruch auf eine ganze Invalidenrente, wenn die versicherte Person mindestens zu 70%, derjenige auf eine Dreiviertelsrente, wenn sie mindestens zu 60% invalid ist. Bei einem Invaliditätsgrad von mindestens

      50% besteht ein Anspruch auf eine halbe Rente und bei einem Invaliditätsgrad von mindestens 40% ein Anspruch auf eine Viertelsrente.

    3. Um den Invaliditätsgrad bemessen zu können, ist die Verwaltung und im Beschwerdefall das Gericht auf Unterlagen angewiesen, die ärztliche und gegebenenfalls auch andere Fachleute zur Verfügung zu stellen haben. Aufgabe des Arztes der Ärztin ist es, den Gesundheitszustand zu beurteilen und dazu Stellung zu nehmen, in welchem Umfang und bezüglich welcher Tätigkeiten die versicherte Person arbeitsunfähig ist. Im Weiteren sind die ärztlichen Auskünfte eine wichtige Grundlage für die Beurteilung der Frage, welche Arbeitsleistungen der versicherten Person noch zugemutet werden können (BGE 125 V 261 E. 4 mit Hinweisen). Für das gesamte Verwaltungsund Verwaltungsgerichtsbeschwerdeverfahren gilt der Grundsatz der freien Beweiswürdigung. Danach haben die Versicherungsträger und das Sozialversicherungsgericht die Beweise frei, d.h. ohne Bindung an förmliche Beweisregeln, sowie umfassend und pflichtgemäss zu würdigen. Hinsichtlich des Beweiswertes eines Arztberichtes ist entscheidend, ob der Bericht für die streitigen Belange umfassend ist, auf allseitigen Untersuchungen beruht, die geklagten Beschwerden berücksichtigt, in Kenntnis der Vorakten (Anamnese) abgegeben worden ist, in der Beurteilung der medizinischen Zusammenhänge und in der Beurteilung der medizinischen Situation einleuchtet und ob die Schlussfolgerungen des Experten begründet sind (BGE 125 V 352 E. 3a mit Hinweisen).

3.

Vorab gilt es die Frage zu beurteilen, ob der medizinische Sachverhalt rechtsgenüglich abgeklärt worden ist. Die Beschwerdegegnerin stützte sich in der angefochtenen Verfügung auf das psychiatrische Gutachten von Dr. G. vom 12. April 2013 (IV-

act. 91). Die Beschwerdeführerin hält die gutachterliche Beurteilung für mangelhaft (act. G 1).

    1. Die Beschwerdeführerin bringt gegen die Beweiskraft des psychiatrischen Gutachtens ausschliesslich vor, die gutachterliche Beurteilung entspreche nicht dem Ergebnis der Abklärungen der seit 19. März 2013 behandelnden med. pract. H. , Psychiatrie-Zentrum I. , die von einer Arbeitsunfähigkeit von mindestens 50%

      ausgehe. Es sei dringend ein Gutachten bei med. pract. H. einzuholen. Dr. G. habe deren Einschätzung nicht berücksichtigt. Seine Beurteilung sei daher unvollständig (act. G 1, Rz 17 f.; vgl. auch act. G 16, Rz 6).

    2. Das Gutachten von Dr. G. stützt sich auf die Untersuchung der Beschwerdeführerin vom 7. März 2013. Nicht erfasst von der gutachterlichen Beurteilung ist der danach eingetretene Sachverhalt. Daran ändert nichts, dass die Gutachtenserstellung erst am 12. April 2013 beendet bzw. das Gutachten erst zu diesem Zeitpunkt versandt worden ist (IV-act. 76), zumal die Beschwerdeführerin weder die IV-Stelle noch den Gutachter über die am 19. März 2013 wieder aufgenommene psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung orientiert hat. Die Beschwerdeführerin legt sodann weder dar noch ergibt sich aus den Akten, dass die gutachterliche Beurteilung hinsichtlich des bis zum 7. März 2013 aufgelaufenen medizinischen Sachverhalts unvollständig wäre.

    3. Gegen einen Mangel an der gutachterlichen Beurteilung spricht sodann, dass die Beschwerdeführerin selbst von einem danach eingetretenen „neuen schlechteren Gesundheitszustand“ ausgeht (act. G 1, Rz 28). Eine allenfalls seit der Begutachtung eingetretene Verschlechterung des Gesundheitszustands betrifft daher lediglich die der angefochtenen Verfügung zugrunde gelegte Annahme, dass die gutachterliche Arbeitsfähigkeitsschätzung auch für die Zeit nach der Begutachtung bis zum Verfügungserlass vom 29. Oktober 2013 Geltung beansprucht (siehe hierzu nachfolgende E. 4). Davon nicht betroffen ist demgegenüber der von Dr. G. bis zum

      7. März 2013 beurteilte Sachverhalt.

    4. Der mit der Replik ins Recht gelegte Bericht von Dr. B. vom 6. März 2013 (act. G 16.1) war von Dr. G. berücksichtigt (IV-act. 76-5) und nachvollziehbar diskutiert worden (IV-act. 76-18), weshalb er ebenfalls nicht geeignet ist, die Beweiskraft der gutachterlichen Beurteilung in Frage zu stellen.

    5. Bei der Würdigung des psychiatrischen Gutachtens fällt des Weiteren ins Gewicht, dass es auf eigenständigen Abklärungen beruht und für die streitigen Belange umfassend ist. Die medizinischen Vorakten wurden verwertet und diskutiert. Abweichungen von den Vorakten wurden eingehend und nachvollziehbar begründet.

      Die von der Beschwerdeführerin geklagten Beschwerden wurden umfassend berücksichtigt und gewürdigt. Die Einschätzung der Arbeitsfähigkeit der Beschwerdeführerin leuchtet in der Darlegung der medizinischen Zusammenhänge und in der Beurteilung der medizinischen Situation ein. Weiter bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass objektiv wesentliche Tatsachen nicht berücksichtigt worden wären. Die von Dr. G. angenommene Verbesserung des Gesundheitszustands im April 2012 ist ferner mit dem Verlaufsbericht von Dr. B. vom 4. Juli 2012 vereinbar (IV-act. 64-1).

    6. Gestützt auf das Gutachten von Dr. G. ist mit überwiegender Wahrscheinlichkeit sowohl hinsichtlich der angestammten (technische Zeichnerin und angelernte Produktionsmitarbeiterin) als auch der leidensangepassten Tätigkeiten mit überwiegender Wahrscheinlichkeit von folgenden Arbeitsunfähigkeiten auszugehen: 100%ige Arbeitsunfähigkeit von November bis Ende Dezember 2010; 50%ige Arbeitsunfähigkeit von Januar 2011 bis Ende März 2012; 30%ige Arbeitsunfähigkeit ab April 2012 (IV-act. 76-16). Entgegen der im Einwand geäusserten Auffassung der Beschwerdeführerin (IV-act. 89-3) ist der verminderten Leistungsfähigkeit bei der ab April 2012 bescheinigten Arbeitsunfähigkeit bereits ausdrücklich Rechnung getragen worden, weshalb dieser Aspekt keine doppelte Berücksichtigung in Form einer zusätzlichen quantitativen Reduktion der gutachterlich bescheinigten Arbeitsunfähigkeit finden kann.

4.

Zu prüfen bleibt, ob sich der Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin seit der psychiatrischen Begutachtung vom 7. März 2013 bis zum Erlass der angefochtenen Verfügung vom 29. Oktober 2013 mit Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit verschlechtert hat.

    1. Die Beschwerdeführerin erblickt im Umstand, dass sie am 19. März 2013 (wieder) eine regelmässige psychiatrische Behandlung aufgenommen habe und die behandelnde med. pract. H. von einer Arbeitsunfähigkeit von mindestens 50% ausgehe (act. G 1, Rz 17 f.), eine erhebliche Verschlechterung ihres Gesundheitszustands (act. G 1, Rz 28).

    2. Von Bedeutung ist zunächst, dass die rechtskundig vertretene Beschwerdeführerin im Einwand vom 15. Oktober 2013 noch keine Verschlechterung ihres Gesundheitszustands gegen die von der Beschwerdegegnerin in Aussicht gestellte Abweisung des Rentengesuchs ins Feld führte. Sie erwähnte damals auch die wieder aufgenommene psychiatrische Therapie nicht (IV-act. 89). Hinzu kommt, dass die Beschwerdeführerin im gesamten Beschwerdeverfahren abgesehen von der Wiederaufnahme der psychiatrischen Behandlung und der durch nichts belegten Arbeitsfähigkeitsschätzung von med. pract. H. keine Aspekte benennt, die auf eine gesundheitliche Verschlechterung hinweisen. Die rechtskundig vertretene Beschwerdeführerin benennt nicht einmal ansatzweise, weshalb die von ihr in der Beschwerde wiedergegebene gutachterliche Diagnose nicht von med. pract. H. geteilt werde bzw. sich mit Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit verändert haben könnte (act. G 1, Rz 27). Des Weiteren kann von einer in Anspruch genommenen Therapie für sich allein nicht auf die Frage der Restarbeitsfähigkeit geschlossen werden. Vor diesem Hintergrund ist mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die (behauptete, nicht belegte) Einschätzung von med. pract. H. lediglich eine andere Einschätzung des von Dr. G. beurteilten Sachverhalts darstellt und sich daher in antizipierter Beweiswürdigung weitere Abklärungen erübrigen.

5.

Gestützt auf die gutachterliche Arbeitsfähigkeitsschätzung verbleibt die Bestimmung des Invaliditätsgrads.

    1. Gegen eine invalidenversicherungsrechtliche Relevanz der gutachterlich bescheinigten Arbeitsunfähigkeiten bringt die Beschwerdegegnerin im Wesentlichen vor, die Beschwerdeführerin habe durch eine unvollständige Ausschöpfung der Therapiemöglichkeiten die ihr obliegende Pflicht zur Schadenminderung und Selbsteingliederung verletzt (act. G 4, Rz 4 f.).

      1. Betreffend die gutachterlich bescheinigten Arbeitsunfähigkeiten gilt es zu beachten, dass keine Hinweise bestehen, die gegen eine von der Beschwerdeführerin unzulänglich in Anspruch genommene psychiatrisch-psychotherapeutische Therapie bzw. gegen ihre aufrichtigen Bemühungen um eine Selbsteingliederung sprechen. Die

        Beschwerdeführerin litt zunächst (Ende 2010) an einer schweren depressiven Episode und begab sich zu deren Behandlung in stationäre Behandlung in die Klinik C. (IVact. 28; vgl. IV-act. 76-18). Die dort behandelnden medizinischen Fachpersonen gaben an, je nach psychischer Verfassung habe die Beschwerdeführerin an den Behandlungen „sehr compliant und engagiert“ teilgenommen (IV-act. 28-3). Auch aus den Ausführungen von Dr. B. betreffend die von der Beschwerdeführerin in Anspruch genommene psychopharmakologische und regelmässige gesprächstherapeutische Behandlung (act. G 16.1; vgl. auch die Angaben der Beschwerdeführerin zur bisherigen Behandlung in IV-act. 76-10) ergibt sich kein Verhalten, das Zweifel an den gutachterlich bescheinigten Arbeitsunfähigkeiten entstehen liesse. Die bis anfangs 2012 regelmässig durchgeführte psychotherapeutische Behandlung wurde unter hinreichend stabilem Ergebnis einvernehmlich unterbrochen. Angesichts des stationären Verlaufs der psychischen Erkrankung ging Dr. B. davon aus, dass sich in absehbarer Zeit keine Änderung der Situation ergeben werde (act. G 16.1). Die Einnahme antidepressiver Medikation setzte die Beschwerdeführerin über die Beendigung der psychotherapeutischen Gespräche hinaus fort (vgl. IV-act. 76-11). Angesichts dessen, dass die psychopharmakologische medikamentöse Behandlung fortgesetzt wurde, begründet die ärztlich abgesprochene Sistierung der psychotherapeutischen Intervention für sich allein, der gemäss Fachliteratur ohnehin lediglich ergänzende Funktion zukommt (Elmar Habermeyer/ Ulrich Venzlaff, Affektive Störungen [und Anpassungsstörungen], in: Ulrich Venzlaff/ Klaus Foerster [Hrsg.], Psychiatrische Begutachtung, 5. Auflage 2009, München,

        S. 193), weder Zweifel an der rechtlichen Erheblichkeit der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit noch eine Verletzung der Schadenminderungspflicht. Die Beschwerdeführerin zeigte sich sodann anlässlich der beruflichen Massnahmen als

        „sehr willig“ und „zuverlässig“ (IV-act. 40-4, Einträge vom 13. Mai und 17. Juni 2011). Des Weiteren gilt es zu beachten, dass die therapeutische Vorgeschichte dem psychiatrischen Gutachter bekannt war, weshalb davon ausgegangen werden kann, dass die sich daraus für die Arbeitsfähigkeit ergebenden Schlussfolgerungen etwa hinsichtlich Leidensdruck von ihm bereits berücksichtigt worden sind. Schliesslich bleibt fraglich, ob mit der von Dr. G. formulierten intensiven und konsequenten Behandlung überhaupt eine Verbesserung der Leistungsfähigkeit über die von der Beschwerdeführerin bereits in Anspruch genommene Therapie hinaus resultiert,

        nachdem er eine weitere Verbesserung lediglich für möglich hielt („möglicherweise“) und einen möglichen Steigerungsumfang von gerade mal „5-10%“ sah (IV-act. 76-17).

      2. Weitere konkrete Gesichtspunkte, die gegen die invalidenversicherungsrechtliche Erheblichkeit der von Dr. G. bescheinigten Arbeitsunfähigkeiten sprechen, bringt die Beschwerdegegnerin nicht vor. Es ergeben sich auch aus den Akten keine Hinweise, welche die Konsistenz und Plausibilität der in diesem Zeitraum bescheinigten Arbeitsunfähigkeiten in Frage stellen. Von Bedeutung ist ferner, dass die gutachterliche Beurteilung versicherungsmedizinisch von RAD-Ärztin Dr. D. bestätigt wurde (IVact. 77). Den von ihr als suboptimales Leistungsverhalten interpretierten Umständen

hat der psychiatrische Gutachter Rechnung getragen (IV-act. 77-1 unten), womit diese nicht Eingang in die von ihm bescheinigten Arbeitsunfähigkeiten gefunden haben, wovon auch Dr. D. ausgeht.

    1. Bei der Bestimmung der Vergleichseinkommen gilt es vorab zu beachten, dass die Beschwerdeführerin die ursprünglich erlernte Tätigkeit als technische Zeichnerin nach dem Jahr 1983 nicht mehr ausgeübt hatte (IV-act. 76-9). Aufgrund dieser langen Berufsabwesenheit und der sich inzwischen veränderten beruflichen Anforderungen an die Tätigkeit als technische Zeichnerin verfügt die Beschwerdeführerin mit überwiegender Wahrscheinlichkeit aus invaliditätsfremden Gründen inzwischen nicht mehr über eine verwertbare Leistungsfähigkeit in diesem Beruf. Deshalb kann der Lohn für die (heutige) Tätigkeit als technische Zeichnerin weder für die Bestimmung des Validennoch Invalideneinkommens herangezogen werden. Die vom psychiatrischen Gutachter bescheinigte Restarbeitsfähigkeit bezieht sich sowohl auf die angestammte Tätigkeit (u.a. als Produktionsmitarbeiterin) als auch auf leidensangepasste Tätigkeiten (IV-act. 76-16), weshalb der Festlegung des Validenund Invalideneinkommens die gleichen Erwerbstätigkeiten zugrunde gelegt werden können und ein sogenannter Prozentvergleich vorgenommen werden kann. Angesichts dessen, dass der Beschwerdeführerin noch ein weites Spektrum an möglichen Tätigkeiten auf dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, und abgesehen vom fortgeschrittenen Alter der Beschwerdeführerin (Jahrgang 1956) keine weiteren Gesichtspunkte bestehen, die auf dem ausgeglichenen Arbeitsmarkt einen Lohnnachteil befürchten lassen, kommt ein Tabellenlohnabzug von höchstens 10% in Frage. Da eine Arbeitsunfähigkeit seit November 2010 ausgewiesen ist (IV-act. 76-16) und sich die Beschwerdeführerin am

      15. Dezember 2010 zum Leistungsbezug angemeldet hat (IV-act. 1), kann ein Rentenanspruch nicht vor dem 1. November 2011 entstehen (Art. 28 Abs. 1 lit. b IVG). Hinsichtlich des frühestmöglichen Rentenbeginns gilt es weiter zu beachten, dass die Beschwerdeführerin bis 31. Dezember 2011 ein IV-Taggeld bezogen hat (IV-act. 47), weshalb ein Rentenanspruch frühestens am 1. Januar 2012 entstehen kann (Art. 29 Abs. 2 IVG). Zu diesem Zeitpunkt war die Beschwerdeführerin zu 50% arbeitsunfähig. Unter Berücksichtigung eines höchstens 10%igen Tabellenlohnabzugs resultiert ein Invaliditätsgrad von 55% (50% + [50% x 10%]) und ein Anspruch auf eine halbe Rente. Ab April 2012 ist von einer 30%igen Arbeitsunfähigkeit auszugehen, womit sich ein nicht mehr rentenbegründender Invaliditätsgrad von 37% (30% + [70% x 10%]) ergibt. Da sich der Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin im April 2012 verbessert hat, ist der Anspruch auf eine halbe Rente in Nachachtung der dreimonatigen Frist gemäss Art. 88a Abs. 1 der Verordnung über die Invalidenversicherung (IVV; SR 831.201) auf

      31. Juli 2012 zu befristen.

    2. Die Beschwerdegegnerin wies das nicht Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens bildende Gesuch um berufliche Massnahmen in der Mitteilung vom 11. Juni 2012 ab. Die damalige Abweisung begründete die Beschwerdegegnerin damit, dass die Beschwerdeführerin in einem Pensum von 50% arbeite und somit angemessen eingegliedert sei (IV-act. 63). Gemäss der damals der Beschwerdegegnerin noch nicht bekannten Einschätzung von Dr. G. verfügt die Beschwerdeführerin indessen seit April 2012 nicht mehr nur über eine 50%ige, sondern über eine 70%ige Arbeitsfähigkeit für leidensangepasste Tätigkeiten, weshalb inzwischen fraglich ist, ob sie angemessen eingegliedert ist. Es steht der Beschwerdeführerin frei, zur Klärung dieser Frage einen Antrag um berufliche Massnahmen bei der Beschwerdegegnerin einzureichen.

6.

    1. In teilweiser Gutheissung der Beschwerde ist die angefochtene Verfügung vom

      29. Oktober 2013 aufzuheben und der Beschwerdeführerin mit Wirkung ab 1. Januar 2012 bis 31. Juli 2012 eine halbe Rente zuzusprechen. Die Sache ist zur Festsetzung und Ausrichtung der geschuldeten Leistungen an die Beschwerdegegnerin zurückzuweisen. Im Übrigen ist die Beschwerde abzuweisen.

    2. Das Beschwerdeverfahren ist kostenpflichtig. Die Kosten werden nach dem Verfahrensaufwand und unabhängig vom Streitwert im Rahmen von Fr. 200.-bis Fr. 1‘000.-festgelegt (Art. 69 Abs. 1 bis IVG). Eine Gerichtsgebühr von Fr. 600.-erscheint in der vorliegend zu beurteilenden Angelegenheit als angemessen. Dem teilweisen Obsiegen entsprechend bezahlen die Beschwerdegegnerin und die Beschwerdeführerin die Gerichtsgebühr je im Betrag von Fr. 300.--. Zufolge unentgeltlicher Rechtspflege ist die Beschwerdeführerin von der Bezahlung ihres

      Anteils an der Gerichtsgebühr zu befreien.

    3. Da die Beschwerdeführerin teilweise obsiegt, hat sie einen reduzierten Anspruch auf eine Parteientschädigung. Diese ist vom Gericht ermessensweise festzusetzen, wobei insbesondere der Bedeutung der Streitsache und dem Aufwand Rechnung zu tragen ist. Bei vollständigem Obsiegen wäre eine Parteientschädigung von Fr. 3‘500.-- (inklusive Barauslagen und Mehrwertsteuer) angemessen. Wegen des nur teilweisen Obsiegens erscheint eine Parteientschädigung von Fr. 1‘750.-als gerechtfertigt. Die Beschwerdegegnerin hat der Beschwerdeführerin somit eine Parteientschädigung von Fr. 1‘750.-- (inklusive Barauslagen und Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

    4. Der Staat bezahlt zufolge unentgeltlicher Rechtsverbeiständung die restlichen Kosten der Rechtsvertretung der Beschwerdeführerin. Die bei vollständigem Obsiegen zu gewährende zusätzliche Parteientschädigung von Fr. 1‘750.-ist um einen Fünftel zu kürzen (Art. 31 Abs. 3 des Anwaltsgesetzes, sGS 963.70). Somit hat der Staat den Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin pauschal mit Fr. 1‘400.-- (inklusive Barauslagen und Mehrwertsteuer) zu entschädigen.

    5. Eine Partei, der die unentgeltliche Rechtspflege gewährt wurde, ist zur Nachzahlung verpflichtet, sobald sie dazu in der Lage ist (Art. 123 der Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO; SR 272] i.V.m. Art. 99 Abs. 2 des Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege [VRP; sGS 951.1]).

Entscheid

1.

In teilweiser Gutheissung der Beschwerde wird die angefochtene Verfügung vom

29. Oktober 2013 aufgehoben und der Beschwerdeführerin mit Wirkung ab 1. Januar 2012 bis 31. Juli 2012 eine halbe Rente zugesprochen. Die Sache wird zur Festsetzung und Ausrichtung der geschuldeten Leistungen an die Beschwerdegegnerin zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.

2.

Die Gerichtsgebühr von Fr. 600.-bezahlen die Beschwerdegegnerin und die Beschwerdeführerin je im Betrag von Fr. 300.--. Die Beschwerdeführerin wird von der Bezahlung ihres Anteils an der Gerichtsgebühr in der Höhe von Fr. 300.-zufolge unentgeltlicher Rechtspflege befreit.

3.

Die Beschwerdegegnerin hat der Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung von

Fr. 1‘750.-- (inklusive Barauslagen und Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

4.

Der Staat entschädigt den Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin zufolge unentgeltlicher Rechtsverbeiständung mit Fr. 1'400.-- (inklusive Barauslagen und Mehrwertsteuer).

Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

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